Unter der Lupe: Trends in der Biotechnologie

In fast allen Bereichen des Alltagslebens spielen biotechnologische Verfahren, Produkte und Dienstleistungen eine Rolle – sei es in modernen Waschmitteln, bei der Lebensmittelproduktion oder der Behandlung von Diabetes. Die Biotechnologie ist eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts und wird bei der Lösung der globalen ökologischen und ökonomischen Herausforderungen von großer Hilfe sein. Wie auch andere Schlüsseltechnologien benötigt die Biotechnologie zur Erforschung und Anwendung innovativer Verfahren Fachkräfte. Einen Einblick in aktuelle Trends in der Biotechnologie gibt in diesem Beitrag Dr. Ulrich Gerth vom Fraunhofer Institut für Biomedizinische Technik.

Biotechnologische Verfahren seit Jahrtausenden bekannt

Wann die Menschheit begann, biotechnologische Verfahren anzuwenden, ist nicht überliefert. Aber die segensreichen Eigenschaften der Mikroorganismen, wie etwa Bäckerhefe oder das Milchsäurebakterium, sind der Menschheit schon Jahrtausende bekannt.
Allerdings erlangte die Menschheit erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Verständnis über die genauen Funktionsweisen von Mikroorganismen. Der französische Biochemiker und Mikrobiologe Louis Pasteur erkannte als einer der Ersten die Zusammenhänge zwischen dem Wirken von Mikroorganismen auf der einen und den für uns wahrnehmbaren Stoffveränderungen auf der anderen Seite. Den Begriff „Biotechnologie“ hingegen nutzte der ungarische Ingenieur und Wirtschaftswissenschaftler Karl Ereky erstmalig im Jahr 1919. Analog zur Stein- und Eisenzeit sah er ein biotechnologisches Zeitalter voraus. Diese Prophezeiung scheint sich heute zu bewahrheiten.

Dank der enormen Erkenntnisgewinne in den biologischen Wissenschaften in den letzten Jahrzehnten verstehen wir nicht nur die Funktionsweisen von Mikroorganismen, sondern wir können sie auch an unsere Bedürfnisse anpassen. So ist die Wissenschaft beispielsweise seit den 70ern in der Lage, Erbmaterial gezielt auch über Artgrenzen hinweg zwischen Organismen zu übertragen (Gentechnik). Dies führte dazu, dass 1982 das erste Humaninsulin als erstes gentechnisch hergestelltes Medikament auf den Markt kam.
Heute ist die Gesamtheit aller Erbinformationen, das sogenannte Genom, zahlreicher Arten bekannt – vom einfachen Bakterium bis hin zum Menschen. Dieses grundlegende Wissen um den Bauplan des Lebens macht die Biotechnologie zu einer der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts.

Darum dreht sich alles! Die DNA als Bauplan für sämtliche Lebensvorgänge.

Was ist Biotechnologie?

Nach der Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist Biotechnologie „die Anwendung von Wissenschaft und Technik auf lebende Organismen, Teile von ihnen, ihre Produkte oder Modelle von ihnen zwecks Veränderung von lebender oder nichtlebender Materie zur Erweiterung des Wissensstandes, zur Herstellung von Gütern und zur Bereitstellung von Dienstleistungen“. Mit anderen Worten: Die Einsatzmöglichkeiten der Biotechnologie sind sehr vielfältig.

Sie ist eine sogenannte Querschnittstechnologie, denn sie stützt sich nicht nur auf die Biologie und Biochemie. Eine Vielzahl weiterer wissenschaftlicher Disziplinen, etwa Physik, Chemie, Verfahrenstechnik, Materialwissenschaften und Informatik kommen zum Einsatz. Dabei erforscht die Biotechnologie keineswegs nur ganze Organismen wie Bakterien, Pflanzen, Tiere oder den Menschen. Auch einzelne Zellen und Enzyme oder andere Teile und Produkte des Organismus sind Gegenstand von Forschung und Anwendung.

Zur Unterscheidung dieser verschiedenen Anwendungsgebiete hat sich eine Farbenlehre herauskristallisiert: So wird zwischen der roten, grünen und weißen Biotechnologie unterschieden. Rot meint die Medizin, grün die Landwirtschaft und weiß die Industrie.

Bio-basierte Kunstoffe, Biofuels oder Gentranfer: Biotechnologische Antworten auf unsere Probleme

Wenn wir uns anschauen, mit welchen Problemen die Menschheit gegenwärtig und zukünftig zu tun haben wird, kommt einiges zusammen. Die Biotechnologie trägt und wird zukünftig viel dazu beitragen, diesen Problemen etwas entgegenzuhalten. Vier Herausforderungen sollen hier beispielhaft betrachtet werden:

  • Bekämpfung von Infektionskrankheiten und Pandemien
  • Ernährungskrisen aufgrund der weiterhin ansteigenden Weltbevölkerung
  • Umweltverschmutzung und Klimawandel
  • Alternde Gesellschaft und damit ansteigende medizinische Kosten für die Gesellschaft
Dr. Ulrich Gerth bei seinem Vortrag während des zdi-Community Events 2022.

Louis Pasteur hat es auf den Punkt gebracht „Das Glück begünstigt den Vorbereiteten“ (Luck favours the prepared). Nur ausgezeichnete Ausbildungsoptionen sichern uns eine erstrebenswerte Zukunft. Die Biotechnologie ist dabei einer der wichtigsten Zukunftsbausteine. Dies hat die jüngste Vergangenheit mit der Entwicklung und Anwendung der mRNA-basierten neuen Corona-Impfstoffe in beeindruckender Weise gezeigt. Und dies ist nur ein Beispiel von vielen.

Dr. Ulrich Gerth, Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik

Wie kann Biotechnolgie helfen?

Bekämpfung von Infektionskrankheiten und Pandemien

Um Pandemien wie Covid-19 oder Infektionskrankheiten wie Tuberkulose besser bekämpfen zu können, braucht es ein globales Überwachungssystem (global genomic surveillance system). Dies ist bereits in Deutschland und internationaler Konsens. Die Biotechnologie verbindet sich hier mit der Informatik und sammelt alle biochemischen Daten und Informationen zu einem Virus, wie z. B. Gensequenzen oder Varianten. Dabei identifiziert sie neue Krankheitserreger, bewertet das Risiko von Mutationen und strebt einen diskriminierungsfreien Zugang zu Daten und Informationen an. Außerdem sammelt das System klinische Informationen zur Schwere der Krankheitsverläufe oder den Impfstatus. Die Herausforderung liegt hier nicht nur in der Erforschung neuer Erreger, sondern auch in der globalen Vernetzung von Informationen in Echtzeit.

Ernährungskrisen aufgrund der weiterhin ansteigenden Weltbevölkerung

Aufgrund der steigenden globalen Bevölkerung von ca. 6,7 Mrd. Menschen in 2008 auf ca. 8,3 Mrd. Menschen in 2030 auf der einen Seite und der global begrenzten landwirtschaftlichen Nutzfläche andererseits wird es in unmittelbarer Zukunft zu steigender Nachfrage nach Lebensmitteln kommen; gleiches gilt für die Nachfrage nach Roh-Öl basierenden Industriechemikalien, da Öl nicht in unendlichem Maße zu geringen Kosten zur Verfügung stehen wird. Für beides gibt es in der Grünen Biotechnologie Ansätze zur effizienteren Nutzung der natürlichen Ressourcen.
Eine wichtige Technologie in der modernen grünen Biotechnologie ist z. B. der Agrobakterium-vermittelte Gentransfer. Bei dieser gentechnischen Methode werden einzelne Erbfaktoren (Gene) von Zellen eines Organismus in Zellen eines anderen Lebewesens übertragen.
Die somatische Hybridisierung (auch Protoplastenfusion oder Zellfusion genannt), ist eine weitere wichtige Methode in der grünen Biotechnologie. Sie erlaubt es, gewünschte Merkmale verschiedener Elternpflanzen zu kombinieren.

Umweltverschmutzung und Klimawandel

Schwermetalle im Boden und im Trinkwasser, Sickerwässer von Deponien, schmutzige Wäsche – warum nicht Hilfe aus der Natur holen?
Ein wichtiges Werkzeug der Umweltbiotechnologie stellen sogenannte Biosensoren dar, die zur Detektion von Schadstoffen in Wasser, Luft und Boden dienen. So entwickeln Forscher:innen Systeme, die entweder auf Basis von Organismen oder von Enzymen auf Umweltgifte reagieren können.
Ein weiterer wichtiger Beitrag der Biotechnologie zum Umweltschutz sind die sogenannten Biokraftstoffe, auch Biofuels genannt. Sie werden zumeist aus Pflanzen hergestellt und können die fossilen Kraftstoffe Diesel, Benzin und Erdgas substituieren.
Auch die biotechnologische Herstellung von Polymeren oder Kunststoffen trägt zum Schutz unseres Planeten bei. Die Entwicklung biologisch abbaubarer bio-basierte Kunststoffe schreitet voran. Damit können petrochemische Verfahren zur Herstellung bestimmter Polymere ersetzt oder neue Polymere mit neuen Eigenschaften entwickelt werden.

Alternde Gesellschaft und damit ansteigende medizinische Kosten für die Gesellschaft

Neben dem Anstieg der Weltbevölkerung macht auch die alternde Gesellschaft in den westlichen Nationen Sorgen. Eine alternde Gesellschaft verursacht multiple chronische Erkrankungen und dramatisch steigende Kosten (ca. 85 Prozent der Gesundheitsausgaben). Dies übersteigt bei weitem die Kosten, verursacht durch Verletzungen oder akut lebensbedrohliche Erkrankungen.
Die heutige Medizin konzentriert sich meist auf die Behandlung von Symptomen. Die Ursachen einer Krankheit und damit eine Heilung stehen weniger im Vordergrund. Das soll sich in der näheren Zukunft ändern. Trends in der roten Biotechnologie sind Protektion (nahe Zukunft) und Regeneration (ferne Zukunft).

Und so könnte die medizinische Versorgung mithilfe der Biotechnologie vorangebracht werden:

  • Regenerative Medizin – Heilen statt Lindern / Wirkstoffe nutzen, die die körpereigenen Stammzellen aktivieren
  • Personalisierte Medizin ersetzt populationsbasierte Medizin
  • Vereinfachung der Darreichung von Medikamenten (z. B. implantierbare Pumpen)
  • Einsatz von Informationstechnologie zur Verbesserung der Genesungsüberwachung oder der Entwicklung von Labortechnik
  • Verbesserte Bildgebung und Navigation von chirurgischen Instrumenten / von minimal-invasiv zu nicht-invasiv
  • Zeit- und Kostenersparnis in der Medikamentenentwicklung

Nachwuchsförderung für die Biotechnologie

Unternehmen tun sich immer schwerer, passende Kandidat:innen für den jeweiligen Biotechnologie-Bereich zu finden. Gesucht werden Naturwissenschaftler:innen und Ingenieure:innen, aber auch Biotech-Maschinenbauer, Verfahrenstechnikerinnen oder Mechatroniker und Informatikerinnen. Besonders die Innovationstreiber, kleine und mittelständischer Unternehmen, bleiben auf der Strecke. Ihnen fehlen z. B. die Ressourcen für „global recruiting“.

Die Motivation von Schüler:innen dürfte hoch sein. Denn Berufe in der Biotechnolgie erfüllen einige Kriterien, die bei jungen Menschen sehr angesagt sind. Nationale und internationale Umfragen haben ergeben, dass ihnen bei der Berufswahl ein naturbewusster Umgang mit der Umwelt und die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit von Bedeutung sind.

Auch für Dr. Ulrich Gerth ist die Nachwuchsförderung in diesem Themenfeld ein wichtiger Schüssel „Unsere wissensbasierte Zukunft kann nur durch Forschung und Erfindung erfolgreich gestaltet werden. Hierfür kann es nicht genug Bildungsangebote geben“, machte er beim zdi-Community-Event im Sommer 2022 deutlich, wo er als Fachreferent geladen war.

Zahlreiche Angebote für Schülerinnen und Schüler, die in die Welt der Biotechnologie eintauchen wollen, hält die zdi-Community bereit.


Das gesamte Kursangebot von zdi.NRW finden Sie auf der zdi-Community Plattform.


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