57 von 934 – so viele (oder wenige) Frauen wurden in den vergangenen 120 Jahren mit einem Nobelpreis geehrt. Eine erschreckend niedrige Quote. In diesem Jahr scheint sich eine Veränderung auf den Weg zu machen: Insgesamt wurden drei Frauen mit der höchsten Wissenschaftsauszeichnung geehrt. Ein Grund, sich einmal etwas genauer mit der Rolle von Frauen im Wissenschaftsbetrieb zu beschäftigen.
Die Zeiten, in denen eine Frau nicht studieren durfte, sind zum Glück lange vorbei – in Deutschland seit etwa 110 Jahren. Heute studieren in den meisten Ländern etwa gleich viele Frauen und Männer. Dennoch sind mehr Männer in universitärer oder außeruniversitärer Forschung tätig. Und der Wissenschaftsbetrieb ist nach wie vor von Männern dominiert. Außerdem zeigen Studien, dass mehr Frauen als Männer, von einer wissenschaftlichen Karrierestufe zur nächsten, den Wissenschaftsbetrieb verlassen. Laut dem UNESCO-Institut für Statistik liegt der weltweite Frauenanteil in der Forschungs- und Entwicklungsarbeit bei unter 30 Prozent.
Aber warum ist das so? Und welche Möglichkeiten gibt es, die Karrieresituation für Frauen in der Wissenschaft zu verbessern? Und damit auch die Zahl der Nobelpreisträgerinnen?
Frauenanteil bei Nobelpreisen nur 6 Prozent!
934 Preisträger*innen und 28 Organisationen erhielten zwischen 1901 und 2020 den Nobelpreis.
Davon waren 57 Frauen.
Unter den Forschenden liegt der Frauenanteil im EU-Durchschnitt bei 33 Prozent, in Deutschland bei 28 Prozent.
Ein Viertel aller Professuren fallen in Deutschland auf Frauen.
Gleichberechtigung im Wissenschaftsbetrieb gelingt in den Geisteswissenschaften besser als in MINT-Fachgebieten.
Der Matilda-Effekt und die systematische Unsichtbarkeit der Frauen in der Wissenschaft

Wenn man von den Entdeckern der DNA-Doppelhelix redet fallen zwei Namen: James Watson und Francis Crick. Dabei war es eine Frau, Rosalind Franklin, die mit ihren Röntgenbeugungsaufnahmen einen wichtigen – wenn nicht den wichtigsten – Beitrag zur strukturellen Aufklärung unseres Erbguts leistete. Ihre Nichterwähnung nennt man den Matilda-Effekt : die systematische Verdrängung der Beiträge von Frauen in der Forschung. Ein weiteres prominentes Beispiel ist die Physikerin Lise Meitner. Sie arbeitete jahrzehntelang mit Otto Hahn zusammen und erkannte 1939, dass beide gemeinsam die Kernspaltung entdeckt hatten. Die Würdigung durch einen Nobelpreis erfuhr Hahn allein.
Weibliche Forscherinnen spielen in der Wahrnehmung ein untergeordnete Rolle. Ihr Wirken und ihr Können werden noch oft heruntergespielt. Auch die Wissenschaft selbst beschäftigt sich mit diesem Gender Gap. Da ist auf der einen Seite kulturell gewachsenes Verhalten und Denken. Und auf der anderen Seite erfahren junge Wissenschaftlerinnen ganz pragmatische Hürden auf ihrem Karriereweg.
Frauen sind weniger sichtbar
Über Jahrhunderte haben Männer den Ton in der Wissenschaft angegeben. Dazu gehört auch das Thema Kommunikation. Über wen und wessen Erfindung wird beispielsweise gesprochen? Inzwischen werden erfolgreiche Forscherinnen in der Öffentlichkeit stärker sichtbar. Dennoch dominieren nach wie vor männliche Speaker wissenschaftliche Konferenzen. Auch sind bei Wikipedia die Artikel über weibliche Forscherinnen kürzer oder nicht vollständig. Die Gleichstellungsbeauftragte der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Tübingen, Annette Denziger, äußerte in deinem Interview mit dem Magazin Spektrum folgende Einschätzung: „Die Kommunikationsform in einem von Männern geprägten System ist männlich. Frauen sind einfach weniger sichtbar und dadurch benachteiligt.“ Und dieser Umstand summiert sich über die Karrierestufen – und trägt zum enormen Ungleichgewicht bei den Nobelpreisen bei.
Voreingenommenheit
Der Anteil von Forscherinnen ist auch gering, weil bei Bewerbungs- und Berufungsverfahren weibliche Bewerberinnen öfter ausgesiebt werden. Jo Handelsman von der Yale University hat dieses Verhalten untersucht. Er schickte eine Bewerbung um eine Stelle als Labormanager – mal unter einem männlichen, mal unter einem weiblichen Namen – an über 100 US-amerikanische Professor*innen. Heraus kam, dass sie männliche Bewerber als qualifizierter einschätzten als die identische Bewerbung einer Frau. Zudem boten sie den männlichen Bewerbern ein höheres Gehalt an. Interessant an dieser Studie ist, dass Professorinnen ebenfalls voreingenommen waren und männliche Bewerber bevorzugt bewertet haben.
Postdoc-Zeit und Familiengründung
Die Familienarbeit liegt nach wie vor meist bei den Frauen. Dennoch verlangt eine wissenschaftliche Karriere werdenden Müttern maximale Flexibilität ab. Sie müssen häufig umziehen, bekommen oft keine dauerhafte Stellung und sollen nach Möglichkeit auch Stellen im Ausland annehmen. Viele Frauen ziehen sich daher eher ganz aus dem Wissenschaftsbetrieb zurück.
Was können wir tun?
Es braucht mehr weibliche Vorbilder (role models), auch in alltäglichen Situationen. Ein sehr prominentes Beispiel ist die Geschichte von Iranerin Maryam Mirzakhani. 2014 erhielt sie als erste Frau überhaupt die Fields-Medaille, die höchste Auszeichnung in der Mathematik. Dies war eine aufsehenerregende Ausnahme und ein Weckruf für viele junge schlaue Frauen. Aber auch Fernsehheldinnen können Vorbilder sein. Eine Studie zeigte, dass Dana Scully aus „Akte X“ Mädchen und Frauen ermutigt hat, Naturwissenschaftlerin zu werden. Motto: Was die kann, kann ich auch.
Bisherige Maßnahmen für Mädchen und junge Frauen erreichen meist die begabten und bereits MINT-Begeisterten. Zukünftige Angebote müssen angepasst werden, damit sie auch durchschnittlich begabte Mädchen erreichen.
Häusliche Unterstützung von Naturwissenschaftlerinnen, die Mütter sind, kann helfen, dass mehr Frauen eine wissenschaftliche Karriere einschlagen.
Eine festgelegte Frauenquote in den Naturwissenschaften gibt es nicht. Betrachtet man die angestrebte, freiwillige Frauenquote von 30 Prozent in den Vorständen der Wirtschaft, gibt es hier noch einen beachtlichen Nachholbedarf. Allerdings ist eine Frauenquote umstritten, auch bei Naturwissenschaftlerinnen. Sie empfinden eine Quote als unwürdig.

Was wird schon getan?
Weltweit gibt es viele Maßnahmen und Initiativen, die junge Frauen für Wissenschaft, insbesondere für MINT-Fächer, begeistern und auf Berufe in der Forschung vorbereiten möchten. Und viele öffentliche Einrichtungen und große Unternehmen haben eine Abteilung für Gleichstellung oder richten Frauenquoten ein. Darüber hinaus gibt es auch immer wieder Aktionen, die gesellschaftliche Aufmerksamkeit erregen möchten oder von persönlichem Engagement zeugen. Einige davon möchten wir an dieser Stelle nennen.
- Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen den Internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft ins Leben gerufen. Er wird jährlich am 11. Februar begangen.
- Die United Nations Women hat die sogenannten Women’s Empowerment Principles – WEPs Die Prinzipien bieten Unternehmen eine Anleitung, wie sie die Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft fördern können.
- Viele Forschungseinrichtungen und Universitäten haben eine eigene Kinderbetreuung eingerichtet. Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard hat eine Stiftung für junge Wissenschaftlerinnen mit Kind gegründet. Außerdem richtete sie eine hauseigene Kinderkrippe am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen ein.
- Die Naturwissenschaftlerinnen Jess Wade and Maryam Zaringhala wiesen 2018 in einem Artikel darauf hin, dass bei Wikipedia die Biographien bedeutender Wisssenschaftlerinnen fehlen bzw. ihr Wirken generell unterrepräsentiert ist. Sie rufen zu einem Umdenken auf. Eine Initiative die daraus entstand, sind die sogenannten Edit-a-thons. Interessierte können sich für ein paar Tage treffen und gemeinsam Textbeiträge oder Biographien zu Wissenschaftlerinnen entwickeln und auf Wikipedia veröffentlichen.
- Der zdi-Heldinnen Oktober setzt sich dafür ein, dass Forscherinnen sichtbarer werden und jungen Mädchen als Vorbilder dienen. Einen Monat lang richtet zdi den Fokus auf die herausragende Arbeit der zdi-Netzwerke und -Schülerlabore, lässt in den Sozialen Medien von zdi.NRW eine Vielzahl an MINT-Frauen zu Wort kommen und zeigt jeden Tag, wie spannend und facettenreich der MINT-Bereich für Mädchen ist. Außerdem hat zdi die Broschüre „zdi – Mädchen und MINT“ herausgegeben. Sie umfasst Handlungsempfehlungen für die Organisation und Durchführung von Kursen für Mädchen.
“Wir sind doch nicht minderbegabt oder so!”
Christiane Nüsslein-Volhard. Sie erhielt im Jahre 1995 den Nobelpreis für Medizin. Sie reagierte immer etwas verärgert, wenn man sie darauf ansprach, wie besonders es sei, dass sie als Frau den Nobelpreis erhalten habe. „Wir sind doch nicht minderbegabt oder so. Warum soll ich keinen Nobelpreis bekommen?“ (WDR5, Zeitzeichen, 09.10.2020)
Ausblick
Seitdem der Nobelpreis vergeben wird, ist die Anzahl der weiblichen Preisträger gestiegen. Aber ihr Anteil ist noch sehr klein. Die vielen Maßnahmen zur Förderung von Wissenschaftlerinnen und die Erhöhung der Sichtbarkeit ihrer Errungenschaften lassen darauf hoffen, dass in Zukunft mehr Wissenschaftlerinnen zur Preisverleihung nach Stockholm eingeladen werden.
Auch die diesjährige Nobelpreisträgerin für Chemie, Emmanuelle Charpentier, Direktorin des Berliner Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie, teilt diesen Optimismus. Ihrer Einschätzung nach wird der Wissenschaftsbetrieb moderner und mehr Frauen werden an Führungsaufgaben beteiligt. (Quelle: euronews, 7.10.2020)
zdi-Heldinnen!
Um Mädchen und junge Frauen zu ermutigen, sich mit MINT-Fächern zu beschäftigen, ihrer Leidenschaft nachzugehen und sich für ein Studium oder eine Ausbildung im MINT-Bereich zu entscheiden, veranstaltet zdi.NRW jährlich den zdi-Heldinnen-Oktober. Wir zeigen Vorbilder, die ihre Geschichte erzählen, um anderen Mut zu machen, sich für MINT zu entscheiden.