Weiter geht es mit der Vorstellung der Jury unserer zdi-Science League. Zum Weltfrauentag kamen bereits Jenny Kociemba und Elita Wiegand zu Wort und berichteten, welchen Beitrag Wettbewerbe wie die zdi-Science League zur MINT-Mädchen-Arbeit leisten. Diesmal spricht Gwendolyn Paul von der zdi-Landesgeschäftsstelle mit Stefan und Philipp Lindner, den Gründern der Bonner Indoor Farm UrbanGreen. Im Gespräch geht es – neben dem Thema Urban Farming –auch um ihre Aufgabe als Juroren bei der Science League.
Im Gespräch
Gwendolyn Paul: Ich freue mich, dass wir heute mit euch beiden sprechen können! Ich würde gerne mit einer kurzen Vorstellung beginnen: Wer seid ihr und wie kommt ihr zur Science League?
Stefan Lindner: Mein Name ist Stefan und ich bin ein Teil von UrbanGreen. Ich studiere gerade noch Geografie im Master. Während der Pandemie ist Philipp die Idee gekommen, ins Indoor Farming einzusteigen. Über die Anfrage, bei der Science League als Juroren mitzumachen, haben wir uns sehr gefreut. Denn für uns ist es eine gute Chance, unser eigenes Netzwerk auszubauen, aber auch zu sehen, was bei der jüngeren Generation so los ist im Bezug auf Urban Farming.
Philipp Lindner: Ich bin Philipp und der zweite Gründer von UrbanGreen. Ich studiere Physik und bin gerade in den letzten Zügen vom Studium. Während des Studiums kam der Wunsch auf, nicht nur etwas mit Physik, sondern eher etwas mit Pflanzen zu machen. Und da ich in einer Stadt lebe, kam dann die Idee zum Urban Farming und zum Indoor Farming auf. Die Anfrage, Teil der Science League Jury zu sein, fand ich auch sehr interessant. Es ist eine ganz neue Erfahrung, einmal Teil einer solchen Jury zu sein und ich bin sehr gespannt, was uns dort noch erwartet und wie es sich weiter entwickelt.
Was ist Urban Farming und was hat es mit MINT zu tun?
Gwendolyn Paul: Könnt ihr einmal erklären: Was ist denn Urban Farming oder Indoor Farming überhaupt? Was steckt dahinter?
Stefan Lindner: Urban Farming ist an sich noch ein relativ undefinierter Begriff, der Verschiedenes zusammenfasst. Grundsätzlich geht es um die Erzeugung von Lebensmitteln im urbanen oder periurbanen Umfeld. Anders als zum Beispiel beim Urban Gardening, wo es eher um die sozialen Aspekte geht, Leute kennenzulernen und gemeinsam zu gärtnern, steht beim Urban Farming die Produktion von Lebensmitteln im Vordergrund. Indoor Farming ist der Teil davon, den wir betreiben. Da geht es um die Lebensmittelerzeugung in geschlossenen Räumen, wozu bevorzugterweise bereits bestehende Flächen genutzt werden.
In unserem Fall möchten wir einen alten Bunker beziehen, der viele Jahre leer stand, und die Fläche so reaktivieren um dem Flächenverbrauch in der Landwirtschaft entgegenzuwirken. Denn die Flächen werden irgendwann nicht mehr ausreichen, um alle Menschen auf der Erde ernähren zu können. So wird auch das Vertical Farming neben dem Indoor Farming ein Teil des Urban Farmings sein, wo beispielsweise Hochhäuser an den Wänden bepflanzt werden.
Gwendolyn Paul: Da schließt sich für mich dann die Frage an: Wie kommen ein Physiker und ein Geograph zum Urban Farming? Von euren Studiengängen her ist es ja nicht der naheliegendste Schritt, oder?
Philipp Linder: Nicht unbedingt, das stimmt. Aber in der Physik geht man auch viel mit dem logischen Denken um das Funktionieren von Prozessen um. Daraus ergab sich für mich dann der Gedanke, dass man in der Nahrungsmittelproduktion vieles effizienter und umweltfreundlicher gestalten könnte, was man mit Urban Farming und indoor Farming sehr gut umsetzen kann. Man kann viel lokaler produzieren und neben langen Lieferwegen auch viel Verpackungsmüll einsparen. Auch der Wasserverbrauch kann erheblich reduziert werden. Außerdem beschäftige ich mich schon länger als Hobby damit, wie man sich selbst versorgen kann. Auf dem Land ist das ziemlich offensichtlich, da hat man ein paar Hochbeete und ein Feld. Aber wie macht man das in der Stadt? Der Schnittpunkt zum Studium ergab sich dann dadurch, alles möglichst effizient zu gestalten und diese Prozesse logisch zu durchdenken.
Welche „future skills” sind beim Urban Farming gefragt?
Gwendolyn Paul: Das heißt, MINT-Kompetenzen sind gar nicht so schlecht in dem Bereich?
Stefan Lindner: Absolut nicht! So eine Indoor-Farm kann automatisiert sein, gesteuert sein. Die Beleuchtung ist gesteuert, die Bewässerung ist automatisch gesteuert. Es werden Luftwerte überprüft, um die Ergebnisse in der Pflanzen- und der Pilzzucht verbessern zu können. Und so kann man das Farmen mit der Informatik verknüpfen. In meinem Geografie-Bachelor habe ich mich viel mit urbanen Geografien beschäftigt. Aber auch globale Ernährung und Bevölkerungsentwicklung sind ganz wichtige Themen in der Geografie. Als Philipp mit der Idee einer Indoor-Farm um die Ecke kam, fand ich das direkt sehr sinnvoll, weil ich mich eben schon ein bisschen mit dem Thema urbane Ernährung auseinandergesetzt hatte. Und so haben wir dann eine Kombi gefunden, die auf den ersten Blick vielleicht nicht so nach Urban Farming aussieht.
Gwendolyn Paul: Was glaubt ihr denn, was sind die Future Skills, die man braucht, um im Urban Farming einzusteigen? Ihr habt es grade schon aufgezeigt, wie vielfältig die Themen sind, die dort reinspielen: Von Physik und Geografie, Informatik, Technik, aber eben auch menschliche Entwicklung, Gesellschaft, Fläche…
Stefan Lindner: Ich glaube, das wichtigste ist, dass man lösungsorientiert denkt. Also dass man Problematiken erkennen kann und motiviert ist, Ansätze zu finden, um die Prozesse besser und effizienter gestalten. Es sollte auch viel darum gehen, das Thema ganzheitlich zu betrachten, weil es sich aus so vielen Bereichen zusammensetzt. Ich könnte mir vorstellen, dass man gerade den Bereich der Automatisierung gut in zdi-Kursen vermitteln könnte.
Gwendolyn Paul: Ich habe auch gelesen, dass ihr eine eigene Anbautechnik entwickelt habt. Wie seid ihr dazu gekommen?
Philipp Lindner: Im Grunde haben wir viele verschiedene Sachen ausprobiert und Dinge, die es in anderer Form schon gibt, neu kombiniert. Die Arbeitsschritte, die Methoden und die Gerätschaften, die wir verwenden, gab es vorher schon – nur eben nicht in dieser Kombination. Wir setzen zum Beispiel auf Kreislaufwirtschaft in den Indoor-Farmen, was bei vielen Farmen heutzutage noch nicht üblich ist. Ein großer Punkt dabei ist eine Wurmfarm, in der wir unsere Bio-Abfälle kompostieren und die dann wieder Nährstoffe liefern für unsere Pflanzen. Und so haben wir nach und nach alles Mögliche kombiniert, um einen möglichst guten Kreislauf zu haben, in dem wir die Pflanzen effizient anbauen können.
Urban Farming in der zdi-Science League
Gwendolyn Paul: Bei eurer Arbeit gibt es ja schon auch einige Anknüpfpunkte zur zdi-Science League. Könnt ihr eure Erfahrungen aus der Unternehmensgründung gut in eure Jury-Tätigkeit einbringen?
Philipp Lindner: Ja, auf jeden Fall. Wir haben uns ja im Mai 2021 gegründet und auch diese zwei Jahre gebraucht, um unsere Prototyp-Farm aufzubauen und die ganzen Prozesse zu verstehen.
Stefan Lindner: Und wenn wir uns nun die Bearbeitung der Fragestellungen aus der Science League anschauen: Ihr braucht Energie, ihr braucht einen Energiespeicher, wie wollt ihr damit eine Farm betreiben? Da konnten wir aus unserer Erfahrung heraus relativ schnell sagen, welche Ansätze funktionieren können und welche nicht.
Gwendolyn Paul: Könnt ihr euch mit den Teams identifizieren?
Philipp Lindner: Bisher ging es ja nur um die Themen Energiegewinnung und Energiespeicher. Das eigentliche Indoor Farming kommt erst noch in den nächsten Spieltagen. Da bin ich auf jeden Fall gespannt, wie es dann sein wird. Und da wird bestimmt auch irgendwo der Punkt kommen, wo ich Parallelen entdecken werde.
Gwendolyn Paul: Gibt es Lösungsansätze bei den Teams, die euch besonders interessieren oder die ihr besonders vielversprechend findet?
Philipp Lindner: Bei der Energiespeicherung fand ich schon ein paar Ansätze sehr interessant. Wenn es zum Beispiel um Batteriespeicher ging, haben sich viele Teams für eine normale Batterie entschieden. Ein Team hat aber auf einen Kondensator-Speicher zurückgegriffen. Das ist schon innovativ. Bei dem Team bin ich dann schon sehr gespannt, wie sie mit der Energiespeichermethode in den nächsten Spieltagen weiterkommen werden.
Gwendolyn Paul: Wie läuft die Zusammenarbeit und der Austausch in der Jury? Gibt es Erkenntnisse und Sichtweisen, die neu sind?
Stefan Lindner: Ich denke, das läuft ganz gut. Es gab schon mehrere Treffen und Jury-Sitzungen, wo wir uns austauschen konnten. Wir kennen uns vor allem mit der pädagogischen Sichtweise überhaupt nicht aus, das ist auf jeden Fall etwas Neues, etwas anderes. Sich auch mal wieder in sich selbst vor 15 Jahren zurückzuversetzen und zu überlegen: Wäre ich damals auf diese Lösung gekommen? Wie hätte ich das gemacht? Welche Lösungen haben die Teams jetzt gefunden? Das ist schon interessant.
Philipp Lindner: Wir finden natürlich die Thematik supercool, denn das ist genau das, womit wir uns befassen. Ich glaube auch, dass es sinnvoll ist, die Science League fortzusetzen. Gerade die Thematik von Urban und Indoor Farming ist sehr komplex und in der Schule kommt man mit einem Thema in der Komplexität nicht unbedingt in Kontakt. Das ist also ein Skill, den die Teams hier lernen können: zu erkennen, wie komplex manche Systeme sind, was man alles bei der Planung berücksichtigen muss und wie alles miteinander in Verbindung steht.
Warum sind Formate wie die Science League wichtig?
Gwendolyn Paul: Die zdi-Science League ist ja gerade in der Pilot-Saison und findet zum ersten Mal statt. Was findet ihr an dem Format besonders und findet ihr, dass eine Fortsetzung sich lohnt?
Wie geht es mit Urban Green weiter?
Gwendolyn Paul: Könnt ihr schon etwas dazu sagen, was als nächster Schritt bei UrbanGreen auf euch zukommt?
Stefan Lindner: Der nächste Schritt für uns wird der Umzug auf die neue Fläche in dem alten Bunker sein. Da laufen gerade die Verhandlungen mit der Stadt als Vermieterin und dann folgt der Aufbau der Farm. Da muss einiges an Material in den Bunker geschafft werden, es muss vieles aufgebaut, verkabelt, getestet werden. Und dann können wir groß starten.
Philipp Lindner: Die bürokratischen Mühlen mahlen zwar langsam, wir bleiben aber auf jeden Fall dran. Denn wir sind der Meinung, dass im Bereich Urban und Indoor Farming noch einiges passieren muss, wenn in Zukunft gewisse Probleme lösen und Krisen aus dem Weg gehen wollen. Deswegen machen wir auf jeden Fall weiter, auch wenn es noch ein bisschen dauert.
Stefan Lindner: Wir merken auch, dass wir zu den ersten gehören, die sich überhaupt mit dem Thema Indoor Farming beschäftigen. Dadurch fehlt es an vielen Stellen noch an Prozessen, vor allem in den Ämtern, da stößt man oft auf Unsicherheiten. Deshalb ist es wirklich super, dass das Thema in der Science League schon behandelt wird. So kommen bereits Schüler:innen der achten Klassen mit so einem wichtigen Thema wie Ernährungssicherheit und einer jungen Branche in Berührung. Für das Thema schon früh zu sensibilisieren, halte ich für absolut nachhaltig und sinnvoll.
Gwendolyn Paul: Seht ihr euch als Vorbilder oder Pioniere?
Philipp Lindner: Ich weiß nicht, ob ich uns wirklich so bezeichnen würde, weil wir ja noch ganz am Anfang stehen. Wenn du mich in fünf Jahren noch mal fragen würdest, würde ich wahrscheinlich „Ja!” sagen.
Gwendolyn Paul: Dann sprechen wir uns in fünf Jahren nochmal! Ich bedanke mich ganz herzlich bei euch für das Gespräch. Sehen wir uns denn beim Science League Finale?
Philipp Lindner: Ja, wir wollen auf jeden Fall gerne dabei sein!
Stefan Lindner: Genau! Und wir bedanken uns auch für das Gespräch und sind gespannt, wie es mit der Science League weiter geht!
Einen Zusammenschnitt des kompletten Gesprächs gibt es hier zu sehen: zdi-Science League: Die Juroren Stefan und Philipp Lindner im Interview