Im Interview: Jiny Matty-Borlinghaus vom zdi-Zentrum Oberhausen

Zum Internationalen Tag der Mädchen und Frauen in der Wissenschaft hat Gwendolyn Paul von der zdi-Landesgeschäftsstelle mit Jiny Matty-Borlinghaus gesprochen. Sie ist nicht nur Projektleiterin der Girls‘ Academy des zdi-Zentrums Oberhausen, sondern auch Mitglied der diesjährigen Jury der zdi-Science League. Außerdem war sie eine der zdi-Heldinnen im Oktober 2023.

Im Interview erzählt Jiny, warum weibliche Vorbilder wichtig sind, was wir tun müssen, um Geschlechterklischees abzubauen und warum die zdi-Science League ein Projekt ist, mit dem genau dies gut funktioniert.

Das Bild zeigt einen Screenshot aus einem Zoom-Call. Links im Bild ist Gwendolyn Paul zu sehen, rechts im Bild Jiny Matty-Borlinghaus.
Gwendolyn Paul (links) von der zdi-Landesgeschäftsstelle im Gespräch mit Jiny Matty-Borlinghaus vom zdi-Zentrum Oberhausen.

MINT ist ein vielfältiges Buffet

Gwendolyn Paul: Bevor wir richtig ins Thema starten, würde ich gerne eine Frage zum Auflockern stellen. Wenn du dir vorstellst, MINT wäre etwas zu essen, was wäre das dann für dich?

Jiny Matty-Borlinghaus: Da kann ich mich auf Anhieb gar nicht auf eine Sache konzentrieren. Deshalb würde ich sagen, es ist ein vielfältiges Buffet. Die vielen Geschmacksrichtungen und Kombinationen tragen alle dazu bei, unsere Welt interessanter zu machen. Das ist für mich ein guter Vergleich.

MINT war von Anfang an klar

Gwendolyn Paul: Also MINT braucht man eigentlich für alles, um zu überleben, das klingt gut! Da möchte ich dann natürlich gerne von dir wissen: Wie ist dein MINT-Werdegang, wie bist du zu MINT gekommen?

Jiny Matty-Borlinghaus: Ich habe schon in der Schule gemerkt, dass mir die naturwissenschaftlichen Fächer, insbesondere Mathe und Physik, immer am meisten Spaß gemacht haben. Mir war auch klar, dass ich auf jeden Fall studieren möchte, dadurch, dass ich aus einer Akademiker-Familie komme. Passend zu den Schulfächern, die mich interessiert haben, habe ich mich dann entschieden, in den Bereichen Maschinenbau, Mechatronik oder Architektur studieren zu wollen.

Nach der Schule habe ich zunächst ein Praktikum bei dem Stahlunternehmen Thyssen-Krupp gemacht und dort das Angebot erhalten, ein duales Studium zu machen im Bereich Maschinenbau mit einer Ausbildung als technische Produktdesignerin. Das war für mich eine super Chance, denn ich muss dazu sagen, meine Noten waren jetzt nicht so super und früher war es noch nicht so einfach, einen Platz für ein duales Studium zu bekommen. Deshalb habe ich die Chance direkt genutzt und bin bei dem Unternehmen geblieben. Dort war ich bis September 2023 tätig als Projektleiterin und Projektingenieurin.

Und dann habe ich mich entschieden, dass ich gerne nochmal was Neues machen möchte, habe mich bei der Girls‘ Academy beworben und bin genommen worden. Das war für mich eine tolle Möglichkeit, weil ich gemerkt habe, wie gerne ich mit jungen Menschen arbeite und dass ich gerne etwas zurückgeben möchte von dem, was ich gelernt habe.

MINT-Studium lohnt sich – trotz Herausforderungen

Gwendolyn Paul: Gab es Momente, in denen du feststellen musstest: „Oh, ich bin ja hier die einzige Frau!”?

Jiny Matty-Borlinghaus: Die Momente gab es auf jeden Fall, sei es im Studium oder bei der Arbeit zwischen den ganzen Azubis. Es war immer eine Herausforderung und ich hatte das Gefühl, mich doppelt und dreifach beweisen zu müssen. Vielleicht war es auch eine intrinsische Motivation, dass ich beweisen wollte: Weg von Klischees, eine Frau kann das auch machen! Die größten Herausforderungen waren dann immer in diesem ganz technischen Bereich, wenn man auf den Baustellen war und dort mitreden und Ansagen machen musste. Ich war ja zusätzlich auch noch relativ jung für den Bereich.

Im Studium waren wir am Anfang etwa sechs Frauen unter knapp 100 Studierenden, nicht nur im Bereich Maschinenbau, sondern auch Elektrotechnik und Mechatronik. Das war schon eine Herausforderung, aber ich habe mich trotzdem immer gut gefühlt.

Die Girls‘ Academy vom zdi-Zentrum Oberhausen

Gwendolyn Paul: Und du hast dich nicht entmutigen lassen, das klingt gut. Jetzt bist du Leiterin der Girls‘ Academy. Kannst du uns ein bisschen mehr darüber erzählen?

Jiny Matty-Borlinghaus: Die Girls‘ Academy ist ein Kooperationsprojekt des zdi-Zentrums Oberhausen, der Hochschule Ruhr West und der Stadt Oberhausen. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Mädchen und junge Frauen für MINT-Berufe zu begeistern. Ich begleite eine Gruppe aus 20 Mädchen ein Jahr lang. Zusammen machen wir Workshops, Exkursionen und Projekte, bei denen die Teilnehmerinnen praktische Erfahrungen sammeln und sich mit verschiedenen MINT-Themen auseinandersetzen können. Sie bauen ihre Fähigkeiten aus und bekommen Hilfestellungen bei der Suche nach Praktika, der Bewerbung und vielem mehr. Auch Besuche bei unseren Partnerunternehmen, die uns finanziell fördern, stehen auf dem Programm. Dabei haben die Mädchen nicht nur die Möglichkeit einen Einblick in die Betriebe, Prozesse und Berufsfelder zu erlangen, sondern auch praktische Aufgaben zu erlernen und anzuwenden

Ein Plakat für die Mädchenakademie Oberhausen.

Außerdem machen wir Mentoring-Programme. Wir laden immer wieder Frauen zu uns ein, die einen Einblick in ihren Werdegang und ihren MINT-Beruf geben und so den Mädchen als Vorbild dienen können.

Gwendolyn Paul: Wie akquiriert ihr eure Teilnehmerinnen?

Jiny Matty-Borlinghaus: Wir machen Werbung auf Social Media und werben auch an den Schulen selbst, zum Beispiel bei Elternabenden oder Projektwochen. Wir besuchen Jobmessen und Ausbildungsmessen. Außerdem gibt es offene Angebote, bei denen die Mädchen in das Programm reinschnuppern können und wenn es ihnen gefällt, können sie sich für die Girls‘ Academy bewerben.

Warum Vorbilder wichtig sind

Gwendolyn Paul: Du warst im vergangenen Jahr eine unserer zdi-Heldinnen, du warst also selbst Vorbild im zdi-Heldinnen-Monat.

Jiny Matty-Borlinghaus: Als zdi-Heldin angesprochen zu werden, war auf jeden Fall eine große Ehre für mich! Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass wir allgemein wenig Frauen im MINT-Bereich haben und noch weniger Frauen mit Migrationshintergrund. Das finde ich total schade, denn es ist ja schon bewiesen, wie wichtig Diversität in Teams ist. Deshalb ist es auch eine Ehre für mich, dass ich die Girls‘ Academy repräsentieren darf und ein Vorbild für die Mädchen sein kann.

Vorbilder spielen eine entscheidende Rolle. Ich denke, ich bin ein Vorbild nicht deshalb, weil ich perfekt wäre, sondern weil ich durch Höhen und Tiefen gegangen bin. Ich möchte zeigen, dass Frauen auch im MINT-Bereich erfolgreich sein können. Es ist wichtig, den Mädchen genau das vorzuleben.

Gwendolyn Paul: Welche Tipps hast du, um Geschlechterklischees im MINT-Bereich abzubauen?

Jiny Matty-Borlinghaus: Ich finde, es ist wichtig, Klischees nicht nur auf individueller, sondern auch auf institutioneller Ebene abzubauen. Es geht darum, ein Bewusstsein für die Ungleichheiten zu schaffen, die es immer noch gibt. Vorbilder zu fördern und Begegnungen zwischen den Vorbildern und den Mädchen zu ermöglichen, kann auch beim Abbau von Klischees helfen.

Bei der Berufsorientierung in Schulen wird weiterhin zu viel mit Klischees gearbeitet und Mädchen eher der soziale Bereich nahegelegt, während Jungen eher in den technischen Bereich gehen sollen. Da muss man natürlich sensibilisieren. Ich meine hier nicht nur die Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch das Elternhaus. Ich nehme mich selbst auch nicht aus dieser Verantwortung. Das Thema ist so wichtig und man muss sich immer wieder korrigieren und hinterfragen. Was man vor zehn Jahren gemacht hat, das muss man ja nicht immer noch genauso handhaben. Die Vielfalt muss betont werden, das ist sehr wichtig, um Geschlechterklischees entgegenzuwirken.

Jinys Lieblings-MINT-Ort in NRW

Gwendolyn Paul: In eurer Girls‘ Academy schafft ihr ja quasi einen Raum, einen MINT-Ort für Mädchen. Könntest du mir deinen ganz persönlichen Lieblings-MINT-Ort in NRW nennen?

Jiny Matty-Borlinghaus: Für mich als Essenerin ist das natürlich die Zeche Zollverein! Ganz klischeehaft, aber für mich hängen da auch viele persönliche Erinnerungen dran. Ich bin in Essen aufgewachsen und mich hat es immer wieder dorthin gezogen. Die Zeche Zollverein verkörpert für mich zum einen die industrielle Vergangenheit des Ruhrgebiets aber die Transformation, dass man sich von den alten und umweltschädlichen Dingen abwenden kann. Aber trotzdem sagen kann: Das ist trotzdem Teil unserer Kultur, das hat uns damals viel gebracht, war zu dem Zeitpunkt wichtig und ging zu dem Zeitpunkt vielleicht auch nicht anders. Und dann diese Transformation, die ist natürlich auch sehr spannend und verknüpft ganz viele Disziplinen miteinander. Die Architektur in der Zeche Zollverein finde ich sehr cool!

Die Zeche Zollverein …

Ein kreisförmiges Bild eines Gebäudes mit einer großen Metallstruktur, der Zeche Zollverein in Essen.
Bild: Anna-Marie vom zdi-Jugendbeirat
  • wurde 1986 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt und gilt als eines der beeindruckendsten Industriedenkmäler der Welt,
  • ist heute ein Zentrum für Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft und beherbergt zahlreiche Museen, Ausstellungen und Veranstaltungen,
  • war 2023 Ausrichtungsort des zdi-Community-Events.

Die zdi-Science League und die Viertel der Zukunft

Gwendolyn Paul: Bei der zdi-Science League werden auch Orte geschaffen, nämlich die Viertel der Zukunft. Worum geht es genau und wie bist du dazu gekommen, Mitglied der Jury zu werden?

Jiny Matty-Borlinghaus: Bei der Science League geht es um genau die aktuellen Themen, über die wir heutzutage sprechen: Wie sieht unsere Zukunft aus? Wie werden unsere Städte auf- oder umgebaut, damit sie nicht nur umweltfreundlich sind, sondern auch soziale Aspekte wie Barrierefreiheit mitbringen.

Das beste dabei ist, dass die Schüler:innen sich komplett frei entfalten können. Dabei entstehen spannende Themen und Ideen, vor denen ich nur tiefsten Respekt haben kann. Die Teams sind ja alle relativ jung und nicht so groß, etwa drei bis fünf Köpfe. Und sie arbeiten sich so akribisch ins Thema ein, entwickeln Ausstellungsflächen von 2 x 2 Metern mit ihren Städten.

Das Besondere an der zdi-Science League

Gwendolyn Paul: Was hat dich bisher am meisten beeindruckt? Was macht die zdi-Science League einzigartig?

Jiny Matty-Borlinghaus: Ich finde es super, dass die Jugendlichen die Möglichkeit haben, sich komplett frei zu entfalten. Die Aufgaben sind sehr klar, aber die Umsetzung ist ihnen selbst überlassen. Die Ergebnisse wurden in Videos präsentiert, so hatten wir in der Jury die Möglichkeit, die Teilnehmer:innen gut kennenzulernen und Einblicke in die Projekte zu erhalten. Die Projekte selbst sind alle sehr unterschiedlich in den verschiedenen Aspekten, von der Präsentation bis zu der Nutzung von Materialien. Das eine Team hat einen 3D-Drucker genutzt, das andere einen Laser-Cutter und wieder ein anderes Team hat mit Pappe gearbeitet. Ich finde es total spannend, dass jede und jeder der Kreativität freien Lauf lassen kann.

Gwendolyn Paul: Kann aus deiner Sicht ein solcher Wettbewerb auch dazu beitragen, Geschlechterklischees abzubauen?

Jiny Matty-Borlinghaus: Auf jeden Fall! Wir schaffen dadurch die Sichtbarkeit, dass gemischte Gruppen und Gruppen nur aus Jungs oder nur aus Mädchen gleichberechtigt nebeneinander stehen können. Und wenn dann in den Wettbewerben die Mädchen-Gruppe vorne mit dabei ist, kann man auch zeigen: Sie haben einfach dieselben Skills und das gleiche Know-How. Das hervorzuheben, finde ich wichtig: Es ist eigentlich völlig egal, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist, der oder die die Aufgabe erledigt. Es ist viel wichtiger darauf zu schauen, wie die Aufgabe gelöst wird und welche kreativen Ideen die einzelnen Personen einbringen.

Jinys Stadt der Zukunft

Gwendolyn Paul: Ich würde mit dir gerne einmal den Blick in die Zukunft werfen, denn wir bei zdi.NRW haben dieses Jahr das Jahresthema „Smart Cities – Städte als Lebensraum der Zukunft”. Was wäre dein Wunsch an einen Lebensraum der Zukunft und wofür braucht es dabei MINT?

Jiny Matty-Borlinghaus: In meinem idealen Lebensraum der Zukunft sollte die Stadtplanung auch sozial ausgerichtet sein. Die Lebensqualität der Bewohner:innen sollte erhöht werden. Damit jede Person, die in dieser Gesellschaft lebt, die Möglichkeit hat, sich zu entfalten. Es ist aber auch sehr wichtig, dass wir uns auf umweltfreundliche Technologien fokussieren und die Technologien, die wir schon haben, klimafreundlich umsetzen. Die Bereiche Gesundheit, Umweltschutz und Technologie können wir nur mithilfe von MINT-Skills umsetzen. Außerdem müssen wir schauen, dass es ein Lebensraum für alle Menschen wird, nicht nur für die Reichen, Wohlhabenden oder Privilegierten.

Gwendolyn Paul: Vielen Dank für das wunderbare Gespräch!

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