Passend zum zdi-Jahresthema Nachhaltige Energiewirtschaft geht es im Interview mit Julia Krayer, Bio-Designerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, um den nachhaltigen Bau- und Werkstoff „Pilz”. Bereits seit 2019 forscht die studierte Designerin gemeinsam mit ihrer Kollegin Lina Vieres im Projekt „FungiFacturing” dazu, wie sich aus Pilzen und Pflanzenfasern erstellte Materialien zum Beispiel als Schallabsorber nutzen lassen. Auch im Dortmunder FabLab Dezentrale, das vom Fraunhofer UMSICHT betrieben wird, arbeitet Julia Krayer mit dem Werkstoff Pilz. Im Interview hat sie mit uns darüber gesprochen, welche besonderen Herausforderungen und Eigenschaften diese nachhaltigen Materialien mit sich bringen und wie man diese Besonderheiten im Sinne des Wissenstransfers einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen kann.
Das Interview findet Ihr auch auf unserem YouTube-Kanal @zdi.NRW
Viele Wege führen zu MINT
Gwendolyn: Du hast mir erzählt, dass deine Kollegin Lina Vieres und du euch regelmäßig an Aktionen zum Wissenschaftsjahr oder auch zum Girls Day beteiligt. Gab es für dich auch eine solche Veranstaltung oder ein Erlebnis in der Jugend, das dich auf den Weg zu einem MINT-Beruf geführt hat? Hattest du ein Vorbild?
Julia: Ich bin eigentlich gar nicht den klassischen, direkten Weg zu einem MINT-Beruf gegangen. Ich habe zunächst Modedesign studiert und dann in konzeptionellem Design, also Creative Direction, meinen Master gemacht. Über das Graduate Programm der Folkwang Universität der Künste bin ich im transdisziplinären Design gelandet. Dort habe ich mich damit befasst, wie man Materialien auf Basis von biologischen Prozessen züchtet. Ich hatte schon in der Schule den Bio-Leistungskurs und das biologische Interesse war immer noch da. Außerdem habe ich eine Freude an experimentellem Arbeiten und ein gutes Maß an Neugier. So bin ich als studentische Mitarbeiterin im FabLab Dezentrale in Dortmund gelandet, das vom Fraunhofer UMSICHT betrieben wird. Dort wollte ich dann auch im Anschluss gerne bleiben und so bin ich in diesen MINT-Bereich eher hineingerutscht.
Gwendolyn: Dann hattest du also eher einen kurvigen Weg in den MINT-Bereich! Wie gut passen denn die zwei Seiten, die du beruflich vereinst, zusammen?
Julia: Für mich total gut. Es ist auch deshalb interessant, weil man plötzlich auf Menschen mit einer ganz anderen Sprache trifft. Deshalb setzen wir auch gerne Designer in der Wissenschaftskommunikation ein, denn im Design-Studium lernt man, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten. Diese Fähigkeit ist besonders wertvoll in der Wissenschaftskommunikation, weil es eben darum geht, die Zielgruppe zu kennen und zu verstehen, aber eben auch die Menschen zu verstehen, von denen die Informationen kommen. Sie fungieren dann quasi als Übersetzer:innen.
MINT ist für alle da
Gwendolyn: Gibt es eine besondere Botschaft, wenn es darum geht, Angebote für Mädchen und junge Frauen zu machen, die du gerne mit auf den Weg gibst?
Julia: Mir ist wichtig, dass wir alle alles können. Am Girls Day hatte ich einmal ein Mädchen in meiner Gruppe. Sie war mit Abstand die Jüngste unter den Teilnehmerinnen. Gleichzeitig war sie aber die größte Powerfrau von allen, die direkt gesagt hat: „Mädchen können alles machen!”. Sie hatte richtige Power und ich habe sie sehr dafür bewundert, dass sie in ihren jungen Jahren diese Einstellung schon so manifestiert hat.
FungiFacturing – Pilze als Werkstoff
Gwendolyn: Lass uns über Pilze sprechen! Kannst du etwas darüber erzählen, worum es beim Projekt FungiFacturing geht und was das Besondere am Werkstoff Pilz ist? Der ist ja unter den Werkstoffen noch eher ein Exot, würde ich sagen.
Julia: Ich fange mal ganz am Anfang an: Die Pilze, die wir kennen und auf dem Teller haben, sind die Fruchtkörper. Also das, was der Pilz bildet, um sich fortzupflanzen. Der eigentliche Organismus, das Pilz-Myzel, ist das, was in der Erde oder im Holz der Bäume wächst. Man sieht es vielleicht, wenn man im Wald ein Stück Holz anhebt und ein feines, weißes Geflecht findet. Dieses Myzel ist das Material, mit dem wir arbeiten.
Es hat die tolle Eigenschaft, dass es Pflanzenfasern miteinander verbinden kann. Die Baumpilze, mit denen wir arbeiten, können Lignocellulose aufspalten. Das ist der Bestandteil von Pflanzen, der sie hart macht und zum Beispiel Holz verholzen lässt. Das Pilz-Myzel gibt Enzyme nach außen ab, mit denen es diese starken Stoffe quasi verdaut. Dies gibt uns die Möglichkeit, zum Beispiel Reststoffe aus der Agrarindustrie oder auch Sägespäne nutzen. Diese werden dann von den Pilzen durchwachsen und nach dem Trocknen hat man ein ganz stabiles Material, man könnte sagen biologisches Styropor.
Im FungiFacturing-Projekt haben wir geschaut, wie sich dieses Material für die Akustik einsetzen lässt. Wir haben nämlich festgestellt, dass poröse Strukturen entstehen, die genutzt werden können, um Schall zu absorbieren. Gleichzeitig haben wir uns damit beschäftigt, wie man das Material 3D-druckbar machen kann. Denn wir haben gehofft, dass wir beim Druck noch weitere Poren eindrucken können, die die Schallabsorption noch verbessern.
Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten
Gwendolyn: Ist das jetzt noch in der Erprobung oder werden einige Verfahren schon angewendet?
Julia: Das Projekt ist abgeschlossen. Wir mussten feststellen, dass sich die Paste, die wir für den 3D-Druck entwickelt haben, nicht hundertprozentig für den von uns gewünschten Anwendungsfall eignet. Wir haben aber andere Materialien gefunden, die sich für diese Anwendung eignen. Die 3D-druckbare Paste aus Pilzmaterial untersuchen wir gerade noch weiter auf ihre Eigenschaften. Sie ist zum Beispiel wasserabweisend und sehr stabil. Wir untersuchen auch, wie sich unterschiedliche Materialien auf diese Eigenschaften auswirken. Denn es macht einen Unterschied, ob wir kleine Holzhäcksel oder große Strohfasern für die Paste nutzen. Da können wir sehr viele unterschiedliche Materialeigenschaften kreieren und wir versuchen zum einen herauszufinden, welche Eigenschaften wir erreichen können, und zum anderen, welche Anwendungsfelder sich daraus ergeben.
Wir bekommen auch unheimlich viele Anfragen aus unterschiedlichen Branchen und haben selbst viele Ideen, von Schallabsorbern über Möbel (da haben wir ein Projekt zusammen mit Studierenden der Folkwang Universität) bis hin zu Bodenbelägen. Da das Material noch so neu ist, sind auch die Anwendungsfälle und das Interesse am Werkstoff Pilz sehr hoch. Zudem ist es ein biobasierter Werkstoff, der aus Reststoffen besteht und deshalb sehr gefragt ist.
Bildquelle: ©Fraunhofer UMSICHT
Gwendolyn: Und aus der Design-Perspektive: Ist das ein Werkstoff, der eher verbaut wird und den man gar nicht sieht, oder kann er auch Einfluss aufs Design haben?
Julia: Der Einsatz ist als Füllstoff möglich, man kann aber auch mit der ganz eigenen Optik des Materials spielen. Die Objekte sind ja mit Fasern überwachsen und haben eine ganz natürliche Struktur. Das macht eben jedes Teil ganz einzigartig. Auf der anderen Seite ist genau das eine Herausforderung: Wenn man für einen Anwendungszweck Produkte braucht, die immer gleich und vergleichbar sein müssen, dann ist diese Individualität eher schwierig.
Werkstoff Pilz zum Anfassen
Gwendolyn: Kommen wir zum Thema Wissenschaftstransfer. Ich habe gelesen, dass ihr Workshops angeboten habt. Wie seid ihr da vorgegangen?
Julia: Uns war es wichtig, dass die teilnehmenden Personen nicht nur die Fakten und Eckdaten lernen, die natürlich auch interessant sind, sondern dass das Material die Möglichkeit bekommt, sich zu zeigen. Wir sind deshalb auch ein bisschen experimentell herangegangen, wie wir das aus unserer FabLab-Erfahrung kennen. Wir haben den Personen die Möglichkeit gegeben, das Material an verschiedenen Stationen zu testen. Man konnte es anfassen und die Festigkeit und Haptik kennenlernen. Es gab die Möglichkeit, das Material anzuzünden, zu schauen, wie es in Wasser reagiert, wie es riecht und so weiter. Denn durch dieses Anfassen und die Möglichkeit, dass das Material sich selbst zeigen kann, passiert ganz viel im Kopf der Menschen.
Bildquelle: ©Fraunhofer UMSICHT
Gwendolyn: Damit man das Material dann mit allen Sinnen begreifen kann, ich verstehe. Kannst du auch noch etwas zur Dezentrale in Dortmund sagen? Braucht es aus deiner Sicht Orte wie FabLabs und Makerspaces, um genau diese Art von Wissenschaftstransfer zu leisten?
Julia: Ganz klares Ja! Die Dezentrale befindet sich gerade im Wandel. Wir gehen weg vom Makerspace, der wir bisher waren und hin zu, wir nennen es das „gläserne Labor”. Denn wir möchten uns dort viel stärker auf das Werkstoff-Thema fokussieren, möchten aber weiterhin ein Ort der Partizipation, der Mitsprache und des Austauschs sein. Wir halten nichts von diesem unidirektionalen Wissenstransfer, sondern sind uns bewusst, dass auch von den Teilnehmenden ganz viel zurückgespielt wird. Gerade bei Themen, die kompliziert sind und wo Dinge abgewogen werden müssen, ist es für uns wichtig, Meinungen, Sorgen und Hoffnungen der Teilnehmenden in die Wissenschaft zurückspielen.
Gwendolyn: Ich bedanke mich ganz herzlich für das spannende Gespräch!
Julia: Ich bedanke mich auch!
zdi.NRW und Wissenschaftstransfer
Der Aufgabe, aktuelle Forschung und komplexe Themen einem vielfältigen Spektrum an Menschen zugänglich zu machen, stellt sich auch die Gemeinschaftsoffensive zdi.NRW. In den zdi-Kursen und in zdi-Schüler:innenlaboren werden MINT-Themen für unterschiedliche Altersgruppen, von frühkindlicher Bildung bis hin zur Sekundarstufe II, aufbereitet. Auch hier zeigt sich: Praxisnähe und „Wissenschaft zum Anfassen” sind dabei die Kernpunkte, die regelmäßig als wichtige Erfolgsfaktoren genannt werden. Ob bei Wettbewerben, in Ferienkursen oder in den Angeboten der zdi-Schüler:innenlabore zeigt sich: Je greifbarer die Inhalte sind, umso besser werden sie verstanden und wirken nachhaltig.
Nachhaltige Energiewirtschaft ist nicht nur zdi-Jahresthema. Themen wie die Gewinnung von erneuerbaren Energien sind als Kursinhalte in der zdi-Community längst präsent. Um in den Kursen aktuell und relevant zu sein, gehört es auch dazu, stets auf dem Laufenden zu bleiben, was neue Technologien, Fertigungsweisen und Werkstoffe angeht. Als biobasierter und zudem aus Abfallstoffen gefertigter Werkstoff können pilzbasierte Materialien in Zukunft eine zunehmend wichtige Rolle im nachhaltigen Bau und der Fertigung spielen, ähnlich wie biobasierte Kunststoffe, über die wir bereits berichteten. Es wird sich zeigen, inwieweit diese nachhaltigen Werkstoffe eine Rolle als Lernträger in der außerschulischen MINT-Bildung einnehmen können.