Welche Motivation bringt Frauen in die Forschung? Wie erleben Sie es, als Wissenschaftlerin zu arbeiten? Und was geben Sie jungen Mädchen, die sich für MINT interessieren, mit auf den Weg? Diese Fragen beantwortet zdi.NRW während des zdi-Heldinnen-Oktobers, indem Forscherinnen aus NRW vorgestellt werden, die anderen als Vorbild dienen können.
Heute im Interview: Prof. Dr. Sabrina Eimler. Sie lehrt Human Factors and Gender Studies an den Instituten Informatik und Positive Computing an der Hochschule Ruhr West, organisiert dort jedes Jahr Kurse für den Girls Day und hat uns erzählt wie sie als Psychologin im MINT-Bereich gelandet ist. Außerdem haben wir von ihr erfahren, welches ihr bisher liebstes Forschungsprojekt war und welche Tipps sie für Nachwuchswissenschaftlerinnen hat.
Frau Professor Eimler, Sie haben im Bereich Medien- und Sozialpsychologie promoviert, lehren aber am Institut Informatik der Hochschule Ruhr West. Das erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich. Wie kam es dazu?
In den Bereich Informatik bin ich eher zufällig reingerutscht. Weil ich mich nicht auf einen Bereich festlegen wollte, habe ich Angewandte Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Universität Duisburg–Essen studiert. Das war einer der ersten interdisziplinären Studiengänge, der Psychologie, Informatik und Medientechnik kombinierte. Dort habe ich mich zum ersten Mal intensiver mit Informatik beschäftigt. An meiner ehemaligen Schule gab es das Fach Informatik nämlich gar nicht. Promoviert habe ich dann im Bereich Medien- und Sozialpsychologie, war aber währenddessen immer von MINT umgeben. An der Uni Duisburg–Essen gehört die Psychologie zu den Ingenieurwissenschaften. Deshalb hatte ich ständigen Kontakt zu Menschen, die interdisziplinär arbeiten und einen sehr starken technischen Fokus haben. Psychologie und Informatik haben viele Schnittstellen. Überall da, wo Menschen mit Technik interagieren, spielt auch die Psychologie eine Rolle. Diese Kombination hat mich fasziniert.
An Ihrer Begeisterung kann man erahnen, dass genau diese Schnittstelle Ihr Forschungsbereich geworden ist. Liegen wir da richtig?
Genau, ich habe zwei große Forschungsbereiche: Human Factors und Gender Studies.
Das bedeutet, dass ich mir anschaue, wie man die Interaktion von Mensch und Technik positiv gestalten kann – ob nun autonomes Fahren, Virtual Reality, Social Media oder die Interaktion mit Robotern. Dabei geht es vor allem um die Frage: Was müssen diese Geräte können, damit der Mensch sie gut bedienen kann und sich mit den Geräten wohlfühlt? Und welche Rolle spielen psychologische Faktoren bei der Interaktion?
In meinem anderen Forschungsgebiet geht es um die Frage: Welche Rolle spielt das Geschlecht bei der Verwendung von Technik? Und wie kann man Mädchen und Frauen, die sich selbst für weniger technikaffin halten – obwohl sie Potenzial haben – für Informatik begeistern? So macht es im Bereich Virtual Reality (VR) einen großen Unterschied, ob man einen Industrieroboter oder eine Kunstgalerie virtuell erschafft. Wenn Mädchen und Frauen durch Informatik ihre Interessen ausleben können, motiviert es sie, sich auch mit der technischen Seite auseinanderzusetzen.
Da wir jetzt einen kurzen Einblick in Ihr Forschungsgebiet erhalten haben, interessiert es uns natürlich, ob Sie ein liebstes Forschungsprojekt haben?
Das ist eine echt schwierige Frage – ich mag eigentlich alle meine Forschungsprojekte.
In einem meiner Projekte entwickeln wir einen virtuellen Begleiter für Kinder und Jugendliche, der mithilfe von künstlicher Intelligenz erkennen kann, wo Hass, Mobbing, Vorurteile und Fake News im Internet entstehen. Anwendung könnte dieser Begleiter später vor allem in den Sozialen Medien finden. Wenn ich, z.B. auf Facebook, schreibe: „Ich hasse XY.“, würde dieser Begleiter anspringen und bestimmte Wörter hervorheben. Er fragt dann nach, ob ich diese Nachricht wirklich so senden will und mich darauf hinweisen, dass ich andere Menschen damit verletzen könnte. Uns ist bewusst, dass wir den Hass im Netz nicht zensieren können. Deshalb setzen wir beim Menschen an und untersuchen, wie wir Personen motivieren können, ein solches Verhalten nicht zu zeigen und zu verstehen, warum das Verhalten schädlich ist.
In dem anderen Projekt, das ich einfach super spannend finde, haben wir in Virtueller Realität eine „Fabrik der Zukunft“ erschaffen. Dort kann man mit einem Roboterarm kollaborieren, der von einer künstlichen Intelligenz (KI) gesteuert wird. So wird erlebbar, wie es sein könnte, in der Zukunft mit einer KI zu interagieren. Auch hier erforschen wir den psychologischen Aspekt: Wie muss sich der Roboter verhalten, damit der Mensch gerne mit ihm arbeitet? Der Mensch soll sich schließlich wohlfühlen und nicht das Gefühl bekommen, überflüssig zu sein. Dabei haben wir herausgefunden, dass die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine elementar wichtig ist. Macht der Roboter seine Arbeit, ohne z. B. über einen Bildschirm anzuzeigen, was er gerade tut, verunsichert das die menschlichen Kolleg*innen. Kommuniziert der Roboter jedoch seine nächsten Arbeitsschritte, ist der Menschen weniger gestresst und er kann seine eigenen Aufgaben effektiver erledigen.
Beide Projekte sind gute Beispiele dafür, wie Forschung die Zukunft positiv verändern kann. War das auch Ihre Motivation nach der Promotion im MINT-Bereich zu forschen?
Mir war schon damals bewusst: MINT wird unsere Zukunft prägen. Ich war zwar nie die pure Informatikerin, die programmiert, aber ich wollte MINT zumindest immer soweit verstehen, dass ich meine eigene Zukunft beeinflussen kann. Ich wollte mich einmischen, um später in einer Zukunft zu leben, die ich mitgestaltet habe und nicht in einer, die von anderen für mich vorgegeben wurde.
Das ist auch das Ziel meiner Forschung: Menschen dazu befähigen diese wichtigen Diskussionen im Bereich der Digitalisierung mitzuführen. Damit das gelingt, müssen wir bei der Entwicklung neuer Technologien nicht nur auf den wissenschaftlichen Aspekt achten, sondern auch immer den Faktor Mensch mitdenken. Was bringt uns diese Technologie? Welche gesellschaftliche Veränderung bringt diese technische Entwicklung mit sich? Ist sie fair oder schließt sie Leute aus? Schließlich soll sich jede*r in dieser digitalen Zukunft wohlfühlen.
Sie setzen sich seit Jahren dafür ein, mehr Frauen für den MINT-Bereich zu begeistern. Was würden Sie einer MINT-interessierten jungen Frau mit auf den Weg geben, die vielleicht noch unsicher ist, ob MINT das Richtige für sie ist?
Tastet euch ran, es gibt so viele großartige Initiativen und Möglichkeiten! Es ist vollkommen okay, wenn ihr nicht „pure“ Physikerin oder Informatikerin werden wollt. MINT braucht nicht nur die Nerds, die tüfteln und entwickeln. MINT braucht auch diejenigen, die im Auge behalten, was die wissenschaftlichen Entwicklungen mit unserer Gesellschaft und einzelnen Individuen macht. Welche Chancen bieten sie und wie können wir mit ihnen die Zukunft positiv gestalten?
Vernetzt euch mit Gleichgesinnten und unterhaltet euch mit Leuten aus allen möglichen Fachbereichen, denn die Welt ist nicht disziplinär. Da MINT leider immer noch ein von Männern dominierter Bereich ist, werdet ihr sicherlich auch Diskriminierungserfahrungen machen. Lasst euch davon nicht unterkriegen, haltet durch. Seit unbequem. Ihr habt eine Stimme, nutzt sie. Es ist auch eure Zukunft. Gestaltet sie mit und überlasst es nicht anderen!